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Schneedruck und Schneerutsch

Grosse Schneemengen auf dem Dach und Eiszapfen an der Dachrinne

Schnee und Eis wirken durch ihr Gewicht (Auflast) und durch Kriech- und Gleitbewegungen auf Gebäudeteile ein. Zudem kann Schnee und Eis beim Abrutschen oder Abstürzen tieferliegende Vordächer und Nebengebäude beschädigen und Personen ernsthaft gefährden – auch indirekt, wenn beispielsweise ein Vordach einbricht. Mit der konsequenten Umsetzung der geltenden SIA-Normen (insbes. SIA 261 und 261/1) können Sie Schäden an Gebäuden wirksam verhindern. Zusätzlich sollten Sie zum Schutz von Personen Massnahmen vorsehen – von Vorteil sind konstruktive, gegebenenfalls aber auch organisatorische.

Die Norm SIA 261 legt das 50-jährliche Ereignis fest als Schutzziel gegen Schnee für normale Wohn- und Gewerbegebäude (Bezugshöhe gemäss SIA 261 Anhang D). Dach, Aussenwände, Vordächer, Oberlichter und Solaranlagen halten dem 50-jährlichen Schnee (Gewicht und Abrutschen) vollumfänglich stand.

Die Schneelast wird hauptsächlich durch die Höhe über Meer und den Standort beeinflusst. Wichtige Standorteigenschaften sind die Neigung des Dachs sowie die Exposition gegenüber Sonneneinstrahlung und Wind. Prüfen Sie bei aussergewöhnlichen Windverhältnissen objektspezifische Untersuchungen.

Die Schneefallintensität bestimmt den Schneezuwachs pro Zeiteinheit. Je höher diese Intensität, desto weniger Zeit bleibt für eine allfällige Schneeräumung auf einem Dach. Die Schneefallintensität und die Schneefalldauer bestimmen den totalen Schneezuwachs pro Ereignis.

Die Raumlast (Dichte) von Schnee ist unterschiedlich und nimmt in der Regel mit der Liegedauer zu. Altschnee hat gegenüber Neuschnee eine um Faktoren 2-5 höhere Dichte (200-500 kg/m3). Eine typische Situation für eine besonders hohe Belastung beispielsweise eines Dachs entsteht, wenn auf intensive Schneefälle ein Wärmeeinbruch mit Regen folgt: Die Schneedecke hält dann das Regenwasser wie ein Schwamm zurück.

Das Schneewasseräquivalent entspricht der Wassermenge einer Schneedecke, wenn man diese schmelzen würde. Das Schneewasseräquivalent wird als fiktive Höhe des Wassers in mm angegeben und lässt sich aus der Schneehöhe und der Dichte ableiten. Eine Neuschneedecke von 1 m Höhe und einer Dichte von beispielsweise 100 kg/m3 entspricht einem Schneewasseräquivalent von 100 mm.

Die Windverhältnisse bestimmen die Homogenität der Schneeablagerungen. In den SIA-Normen 261 und 261/1 wird gemäss Lastmodell 2 auch eine ungleichmässige Ablagerung infolge Windverfrachtung berücksichtigt. Bei aussergewöhnlichen Windverhältnissen sind objektspezifische Untersuchungen erforderlich.

Die Anzahl und Dauer der Frost- und Tauperioden beeinflussen die Schneeeigenschaften und damit die Vereisung oder Vernässung des Dachschnees massgeblich. Während Tauperioden ist es entscheidend, dass sich das Dach ungehindert entwässern kann, um Eisbildung am Dachrand zu vermeiden und das Dach wirkungsvoll zu entlasten. Fliesst Wärme durch die Dachfläche, wird der Schmelzprozess beschleunigt. Entsprechend kann eine gute Wärmedämmung des Dachs diesen Prozess verlangsamen und damit zu vergleichsweise hohen Schneelasten führen.

Die Vorwarnzeit ist wichtig, wenn die bestehende Schneelast annähernd so gross ist wie die Bemessungsschneelast gemäss SIA 261 und 261/1 und weitere Schneefälle erwartet werden. In diesem Fall sind die gefährdeten Gebäudeteile durch ausgebildetes Personal vom Schnee zu befreien.

Die Schneelast ist in Bezug zur Windexposition gemäss der SIA-Normen 261 und 261/1 zu bemessen. Dabei sind nebst dem Tragwerk und der Gebäudehülle auch Aufbauten wie Solaranlagen zu berücksichtigen resp. ihre Verbindungen zu Dach und Fassade entsprechend zu bemessen. Wählen Sie höhere Schutzziele, wenn erhöhtes Schadenpotenzial besteht – beispielsweise, wenn Personen durch abrutschenden Schnee gefährdet sind.

Als Projektverfasser sind Sie gut beraten, wenn Sie von ihren Baupartnern den Nachweis zur Einhaltung der SIA-Normen verlangen, insbesondere SIA 261 und 261/1. Viele Schadenfälle sind auf ungenügende resp. fehlende Nachweise oder auf fehlerhafte Konstruktion zurückzuführen. Es ist wichtig, dass auch das schwächste Glied („die letzte Schraube“) diesen Normen entspricht.

Bezeichnungen

I [mm/h]: Niederschlagsintensität
TN [h]: Niederschlagsdauer
sk [kN/m2]: charakteristische Schneelast auf horizontalem Gelände (gemäss SIA-Norm 261)
qk [kN/m2]: charakteristische Schneelast auf Dächern (gemäss SIA-Norm 261)
qk,r [kN/m]: Linienlast bei auskragenden Bauteilen (Schneeüberhang gemäss SIA-Norm 261)
h [m]: Schneehöhe pro Ereignis
H [m]: Gesamtschneehöhe
qs [kN/m3]: Raumlast des Schnees
SWE [mm]: Schneewasserwert
φ [°]: Windrichtung horizontal
tV [h]:    Vorwarnzeit (Dauer von Gefahrenerkennung bis Ereignisbeginn) 
Schneedruck

Gefährdungsbild 1: Schnee ohne Wind

Gleichmässige Ablagerung des Schnees über die ganze Fläche. Für geneigte Dächer sind die Lastanordnungen gemäss SIA 261 zu berücksichtigen. Bei auskragenden Dachteilen ist für Bauwerke über 800 m ü.M. ein Schneeüberhang als Linienlast gemäss SIA 261 zu berücksichtigen.

Gefährdungsbild 2: Schnee mit Wind

Wind während oder nach dem Schneefall führt zu ungleichmässiger Ablagerung des Schnees. Die massgebende Lastanordnung ist gemäss SIA 261 zu ermitteln (Lastmodell 2). Bei auskragenden Dachteilen ist für Bauwerke über 800 m ü.M. ein Schneeüberhang als Linienlast gemäss SIA 261 zu berücksichtigen. Aussergewöhnliche Windverhältnisse erfordern spezifische Untersuchungen.

Gefährdungsbild 3: Schneerutsch

Schneerutsch tritt bei Steildächern mit über 25° Neigung und auf glatten Oberflächen wie Traglufthallen auf, wenn Schnee ohne Behinderung abrutschen kann. Berücksichtigen Sie auch die erhöhten Belastungen, die entstehen, wenn Schnee auf tieferliegende Dachflächen oder An- und Nebenbauten abrutscht. Ebenfalls zu berücksichtigen ist die explosionsartige, einseitige Entlastung (asymmetrischer Lastzustand). Treffen Sie konstruktive Massnahmen, um die Personensicherheit zu gewährleisten.

Gefährdungsbild 4: Eislast

Häufige Frost-Tauwechsel können bei Steildächern hohe Eislasten im Traufbereich verursachen, besonders wenn der Schmelzwasserabfluss behindert ist. Diese Eislasten beanspruchen die Dachtraufe. Zudem kann abbrechendes Eis Personen gefährden und Sachschäden verursachen (z.B. beim Abbruch auf ein darunterliegendes Vordach).

Gefährdungsbild 5: Kriechschnee

Bei starker Erwärmung oder länger anhaltenden Frost-Tauperioden können Schneeablagerungen auf geneigten Flächen zu kriechen beginnen. Diese Kriechbewegungen beschädigen oft Dachaufbauten wie Solaranlagen, Antennen oder Sonnenschutzeinrichtungen von Dachfenstern.

Der horizontale Ruhedruck der Schneedecke auf eine direkt angrenzende, vertikale Wand berechnet sich in Funktion der Schneehöhe hn und der Schneedichte ρn wie folgt:

Die Materialkonstante m hängt von der Schneeart ab und variiert zwischen 0.20 und 0.33.

Horizontaler Ruhedruck am Beispiel eines Gebäudes im Binntal (VS).

Horizontaler Ruhedruck am Beispiel eines Gebäudes im Binntal (VS). Er entsteht an vertikalen Flächen im flachen Gelände aufgrund der Setzung der Schneedecke. Der Ruhedruck ist dreieckförmig verteilt und errechnet sich in Abhängigkeit der Schneehöhe und der Schneeart (Dichte und Ruhedruckbeiwert). Foto: Stefan Margreth.

Schneelast:

Grösse und Form der Schneelast werden beeinflusst durch das Klima, die Topographie, den Standort und die Form des Bauwerks, sowie durch die Windeinwirkung, die Beschaffenheit der Dacheindeckung und den Wärmeaustausch an der Dachoberfläche.

Der charakteristische Wert der Schneelast auf Dächern qk ist gemäss SIA 261, Kapitel 5 Schnee zu ermitteln.

Für Bauwerke über 2000 m ü.M. und an Lagen mit aussergewöhnlichen Schnee- und Windverhältnissen ist die Norm SIA 261 nicht anwendbar. In solchen Fällen sind zum Festlegen der Schneelast objektspezifische Untersuchungen über Schneehöhe und Ablagerungsverhältnisse notwendig.

Richtwerte der mittleren Raumlasten für Schnee auf horizontalem Gelände gemäss SIA 261
Schneelast auf horizontalem Gelände in Bezug auf die Schneehöhe

Bemessung von Schutzvorrichtungen gegen Schneerutsch:

Die Bemessung von Schneegittern und Schneestopp-Vorrichtungen richtet sich nach den Herstellerangaben der jeweiligen Systeme (Schneelastregister).

Versagen des Tragwerks:

Die meisten Schäden entstehen wegen Fehlern der Bemessung oder der Konstruktion des Tragwerks.

Schneerutsch:

Fehlende oder ungenügend dimensionierte Schneerückhaltevorrichtungen auf Dächern können Personen gefährden und zu Schäden an Dachaufbauten sowie an tiefer liegenden Gebäudeteilen führen.

Schäden an Solaranlagen:

Der Glasbruch wird meistens von einer Deformation des Rahmens oder des Montagesystems ausgelöst und ist oft nur das sichtbare Zeichen für einen bestehenden Schaden. Viele Glasschäden werden aber auch durch unsachgemässe Schneeräumung (Schneeschaufeln) oder ruhende Schneelasten, z.B. in Dachkehlen, verursacht.

Bei PV Modulen können Zellbrüche auftreten, die sich durch einen reduzierten Ertrag oder Totalausfall zeigen.

Beschädigung der Gebäudehülle: Flächenlasten auf den Solarmodulen werden in grosse Punktlasten an der Unterkonstruktion, z.B. Stockschrauben oder Bügelhalterungen, umgewandelt. Durch fehlerhafte Unterkonstruktionen werden diese Punktlasten auf die Gebäudehülle übertragen anstatt korrekt in das Tragwerk eingeführt. Dies kann zu Durchbrüchen und anderweitiger Beschädigung der Dacheindeckung führen.

Glasausbruch durch Kriechschnee: Der am Glas haftende Schnee erzeugt durch seine Kriechbewegung starke Kräfte, die das Glas als Ganzes aus dem Rahmen ziehen.

Schäden an tieferliegenden Gebäudeteilen: Schnee und Eis rutschen oder fallen leicht auf tieferliegende Solaranlagen und können so die oben beschriebenen Schäden verursachen.

Mit einer konsequenten Umsetzung der geltenden SIA-Normen (insbes. SIA 261 und 261/1) schützen Sie Neubauten gut vor Schäden durch Schneedruck. Berücksichtigen Sie diese Baunormen (zusätzlich SIA 269/1) auch bei Erneuerungen und Erweiterungen bestehender Gebäude und sehen Sie gegebenenfalls eine Verstärkung des Tragwerks und der Gebäudehülle vor. Wichtig ist, dass die Lasten über das gesamte Tragwerk bis in das Fundament abgetragen werden.

Vermeiden Sie grosse räumliche Lastunterschiede und hohe Punktlasten (typisch bei Aufbauten wie Solaranlagen). In seltenen Situationen mit extremen Schneefällen empfiehlt es sich trotzdem, die Schneeakkumulation und Wetterentwicklung zu beobachten und bei Bedarf eine Schneeräumung vorzusehen. Da Schnee und Eis beim Abrutschen auch Personen gefährden kann, empfehlen sich konstruktive und organisatorische Schutzmassnahmen.

Vorschläge für Schutzmassnahmen zu einzelnen Bauteilen sowie zum konzeptionellen Vorgehen:

Naturgefahren-Check

Egli, Th. (2007): Wegleitung Objektschutz gegen meteorologische Naturgefahren. Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen, Bern. (Download)

Präventionsstiftung der Kantonalen Gebäudeversicherer (2014): Prevent-Building – eine Methodik und ein Werkzeug zur Beurteilung der Wirksamkeit und Zumutbarkeit von Objektschutzmassnahmen an Gebäuden gegen gravitative und meteorologische Naturgefahren. Bericht Phase 1 mit Anpassungen aus Phase 2. Arbeitsgemeinschaft Prevent-Building: WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Egli Engineering AG, Geotest AG, B,S,S,. Volkswirtschaftliche Beratung, Version 12.05.2014. (Download)

Suda J. und Rudolf-Miklau F. (Hrsg.) (2012): Bauen und Naturgefahren, Handbuch für konstruktiven Gebäudeschutz. Springer, Wien.

Staub, B. (2018): Massnahmen zum Schutz der Gebäudehülle gegen Sturm, Hagel, Regen und Schnee. FAN Agenda 2/2018. Fachleute Naturgefahren Schweiz. (Download)

Staub, B. (2017): Gebäudeschutz gegen Naturgefahren. FAN Agenda 2/2017. Fachleute Naturgefahren Schweiz. (Download)

Auer, M., R. Meister, A. Stoffel und R. Weingartner (2004): Analyse und Darstellung der mittleren monatlichen Schneehöhen in der Schweiz. Wasser Energie Luft 96. Jahrgang, Heft 7/8.

Gebäudehülle Schweiz (2006): Rechenschieber für Schneestopp. Technische Kommission Steildach, Verband Schweizerische Gebäudehüllen Unternehmungen, Uzwil (www.gh-schweiz.ch)

Lawinenwarnzentrale Bayern (2006): Anleitung zum Abschätzen einer aktuellen Schneelast. Bayerisches Landesamt für Umwelt.

Meister, R. (1986): Density of New Snow and its dependency on Air temperature and Wind. Zürcher Geographische Schriften 23, S 73-79.

Seierstad J.-K. (2006). Snow measurements in Norway using snow pillows. Hydrological Department, Norwegian Water Resources and Energy Directorate.

Stiefel, U., D. Ulrich-Weibel, R. Meister and S. Margreth (2004). Improving Codes for Snow Loads in Switzerland. 5th International Conference on Snow Engineering, July 5 – 7, 2004, Davos, Switzerland.

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