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Erdbeben

Erdbebensichere Bauweise mit zwei Stahlbetontragwänden pro Hauptrichtung des Gebäudes, durchgehend vom Fundament bis zum Dach.

Erdbeben können überall auftreten, jederzeit und ohne Vorwarnung. Historische Beispiele belegen auch für die Schweiz schwere Beben, die heute enorme Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft haben würden. Die Bauweise hat den grössten Einfluss auf die Schäden im Ereignisfall. Nicht erdbebengerecht erstellte Gebäude sind potenziell einsturzgefährdet und können bereits bei schwachen Erschütterungen erhebliche Schäden erleiden. Durch erdbebengerechte Bauweise hingegen können die Schäden begrenzt oder gar vermieden werden. Dazu sind die aktuellen Baunormen (insbes. SIA 261 und SIA 269/8) konsequent einzuhalten und durch entsprechende Sicherheitsnachweise durch die beauftragten Bauingenieure zu belegen. Erdbebengerechtes Bauen ist kostengünstig, sofern früh in der Planung daran gedacht wird. Die frühe Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur ist zentral.

Erdbeben werden von Brüchen in der Erdkruste hervorgerufen, die seismische Wellen abstrahlen. Von diesen Wellen angeregt, bewegt sich der Boden rasch in alle Richtungen. Die Fundamente von Bauwerken sind gezwungen, diese Bodenbewegungen mitzumachen. Die Massenträgheit eines Gebäudes wirkt diesen Bewegungen jedoch entgegen, die oberen Stockwerke möchten sozusagen „bleiben wo sie sind“. Diese dynamische Anregung des Bodens bringt die Gebäude in Schwingung. Je nach Intensität des Bebens und der Bauweise können grosse Verformungen des Tragwerks die Folge sein, mit lokalem Versagen bis hin zum Einsturz des Gebäudes.

Für Gebäude können die horizontalen Bewegungen besonders problematisch sein, wenn das Tragwerk primär auf die Abtragung vertikal wirkender Lasten (Schwerelasten) bemessen wird. Zudem sind sekundäre Bauteile wie Fassadenelemente sowie Installationen (z.B. Liftanlagen) und Einrichtungen (z.B. Regale) oft nicht (genügend) gegen Horizontalbewegungen gesichert und können umkippen oder herunterfallen. Für Sekundäre Bauteile, Installationen und Einrichtungen ist heute in der Fachwelt der Begriff SBIE gebräuchlich

Der Schweizerische Erdbebendienst SED registriert jährlich 1000 bis 1'500 Erdbeben. Etwa 20 dieser Beben werden von der Bevölkerung verspürt, meist ab Magnituden von 2.5. Die Magnitude gibt die Stärke eines Erdbebens an, resp. die dadurch freigesetzte Energie. Die Intensität (12 stufige Skala in römischen Zahlen) beschreibt die lokale Stärke der Erschütterungen basierend auf dem Ausmass der Zerstörung (Bauwerke, Landschaft) und der subjektiven Wahrnehmung des Beobachters. Die Intensität eines Bebens ist ortsabhängig und wird durch die Magnitude des Erdbebens, die Distanz zum Erdbebenherd und die Geologie (Untergrund) bestimmt.

Mögliche Auswirkungen von Erdbeben geordnet nach Intensität und Magnitude (Quelle: SED)
Mögliche Auswirkungen von Erdbeben geordnet nach Intensität und Magnitude (Quelle: SED)

Starke Erdbeben können jederzeit und überall in der Schweiz auftreten. Etwa alle 8 bis 15 Jahre ist mit einem Beben der Magnitude 5 zu rechnen, wie 1991 bei Vaz (GR) geschehen. Bei dieser Stärke treten mässige Schäden auf, es kommt aber auch zu grossen Mauerrissen und Zwischenwände können einstürzen. Erdbeben der Magnitude 6 sind alle 50 bis 150 Jahre zu erwarten und können bei nicht erdbebengerechten Gebäuden schwere Schäden oder gar den Einsturz bewirken. Das letzte Beben dieser Grössenordnung ereignete sich 1946 bei Sierre (VS). Das stärkste dokumentierte Beben in der Schweiz erreichte 1356 bei Basel eine Magnitude von ca. 6.6. Eine Wiederholung dieses Ereignisses heute könnte rund 2‘000 Todesopfer und 20‘000 Verletzte fordern. Zudem könnte eine halbe Millionen Menschen zumindest kurzfristig obdachlos werden, 150’000 Gebäude wären mittel bis stark beschädigt. Die entsprechenden Sachschäden beliefen sich auf 50 bis 100 Milliarden Schweizer Franken.

Historische Erdbeben in der Schweiz

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Legende
Legende zur Karte der historischen Erdbeben

Baugrundklassen: Gemäss Norm SIA 261 werden die sechs Baugrundklassen A-F definiert für die Bestimmung der Erdbebeneinwirkung mit Berücksichtigung der lokalen Geologie.

Bauwerksklasse: Festlegung des Schutzgrades von Bauwerken (BWK I-III) gemäss der Normen SIA 261 und SIA 269/8 unter Berücksichtigung der Personenbelegung, der Bedeutung des Bauwerkes für die Allgemeinheit und der möglichen Umweltgefährdung im Falle einer Beschädigung.

Bedeutungsbeiwert: Beiwert zur Gewichtung der Erdbebeneinwirkungen entsprechend dem Schutzgrad (Bauwerksklasse) gemäss Norm SIA 261.

beschleunigungsempfindlich / beschleunigungsrobust: Bauteil reagiert empfindlich / robust auf Trägheitskräfte.

biegesteif: Bauteil, das sich unter Last nur wenig verformen lässt.

Bodenverflüssigung: Unter Anregung durch Vibrationen verliert der Untergrund plötzlich seine Tragfähigkeit und verhält sich wie eine Flüssigkeit. Wassergesättigte, wenig kompakte sandige und siltige Böden sind besonders betroffen.

Dilatationsfuge: Bauliche Trennung von Tragwerken oder Gebäudeteilen, um Spannungsrissen vorzubeugen.

duktil: Eigenschaft eines Werkstoffs oder Bauteils, sich unter Belastung plastisch (d.h. mit bleibender Formänderung) zu verformen, ohne zu versagen.

Epizentrum: Ort an der Erdoberfläche senkrecht über dem Hypozentrum.

Eigenfrequenz: Frequenz mit der ein Gegenstand schwingt, nachdem er einmal angestossen wurde. Die Eigenfrequenz von Gebäuden ist abhängig von der Bauweise, der verwendeten Materialien und der Höhe (für Gebäude liegt die Eigenfrequenz in der Regel zwischen 1 und 10 Hz). Die Frequenz mit der ein Objekt frei schwingt wird auch Grundfrequenz genannt.

erdbebengerecht: Ein erdbebengerechtes Bauwerk besitzt ein robustes Tragwerk für die Abtragung der horizontalen Erdbebeneinwirkungen, wobei die aussteifenden Bauteile kontinuierlich vom Fundament bis über die Höhe des Gebäudes verlaufen und möglichst symmetrisch angeordnet sind.

Erdbebenrisiko: Über einen bestimmten Zeitraum (z.B. 1 Jahr) zu erwartende Schäden (Personenschäden, Sachschäden) aufgrund von Erdbeben. Das Erdbebenrisiko lässt sich aus der Verknüpfung der seismischen Gefährdung, dem lokalen Baugrund, der Verletzbarkeit der Bauwerke sowie den gefährdeten Werten ableiten (siehe Abbildung 6).  

Erdbebensicherheitsmassnahme: Massnahmen zur Verbesserung des Schutzes von Personen, Sachwerten, kulturellen Werten und der Umwelt vor den Folgen eines Erdbebens sowie zur Vermeidung von Infrastruktur- oder Betriebsunterbrüchen infolge Erdbeben.

Erfüllungsfaktor: Quotient aus der Erdbebeneinwirkung, die zum Versagen eines Bauteils führt, und dem Überprüfungswert der Erdbebeneinwirkung (SIA 269/8).

Gebrauchstauglichkeit: Fähigkeit eines Tragwerks und weiterer Bauteile, die Funktionstüchtigkeit und das Aussehen des Bauwerks sowie den Komfort zu gewährleisten (SIA 260).

Hypozentrum: Lage des Erdbebenherdes im Untergrund, von wo aus sich seismische Wellen ausbreiten.

in-plane: Beanspruchung in Wandrichtung

Intensität: beschreibt die Auswirkungen eines Bebens auf Menschen, Natur und Gebäude (Schaden) auf einer Skala mit 12-Stärkegraden(I bis XII). In Europa wird die EMS-98-Skala verwendet.

Kapazitätsbemessung: Bemessungsmethode zur Schaffung von duktilen Tragwerken (Neubauten), die unter den massgebenden Erdbebeneinwirkungen zu einem geeigneten plastischen Verhalten führt.

Konventionelle / kräftebasierte Bemessung: Bemessungsmethode, bei der die plastischen Verformungen beim Bemessungserdbeben in bestimmten Grenzen bleiben.

«kurze Stützen» (short column effect): Versagen von «gedrungenen» Stützen bei hoher Querkraftbeanspruchung und geringer frei verformbarer Länge.

Magnitude: gibt auf einer offenen logarithmischen Skala die bei einem Erdbeben freigesetzte Energie an. Die Erhöhung der Magnitude um eine Grösseneinheit entspricht der Freisetzung von ca. 30-Mal mehr Energie. Im Gegensatz zur Intensität ist die Magnitude eine ortsunabhängige Eigenschaft eines bestimmten Erdbebens.

out-of-plane: Beanspruchung senkrecht zur Wandebene

plastische Verformungen: bleibende Verformungen (des Tragwerks)

Sekundäre Bauteile, Installationen und Einrichtungen (SBIE): Sekundäre Bauteile sind gemäss Norm SIA 261 Bauteile, die nicht Bestandteil des Tragwerks sind (z.B. Fassadenelemente und Wände, die weder der vertikalen Lastabtragung noch der horizontalen Aussteifung des Tragwerks dienen, Verkleidungen, Isolationen etc.) sowie ortsfeste Einrichtungen (Aufzug, technische Anlagen, Leitungen und Kabelkanäle).

Spektrale seismische Mikrozonierung: Untersuchungen zur Quantifizierung der lokalen Standorteffekte und Bereitstellung von standortspezifischen Antwortspektren. Unterschieden werden punktuelle Standortstudien (für einen einzelnen Standort) und spektrale seismische Mikrozonierungsstudien (für ein grösseres Gebiet).

steifes/weiches Bauwerk: Durch eine steife/weiche Ausführung bewirken angreifende Kräfte geringe/grosse Verformungen und grosse/geringe Kräften, wobei die Masse des Gebäudes und deren Verteilung ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Tragsicherheit: Sicherheit gegenüber Tragwerksversagen gemäss der SIA-Tragwerksnormen 260 ff., insbes. für Personen in Gebäuden.

Trägheitskräfte: Kräfte infolge Beschleunigung einer Masse.

Tragwerk: Jene Elemente eines Gebäudes, die durch ihr Zusammenwirken dafür sorgen, dass ein Gebäude vertikalen, wie auch horizontalen Belastungen (z.B., Nutzlasten, Schnee, Erdbeben) standhält.

verformungsempfindlich: spröde, wenig nachgiebige, begrenzt verformungsfähige Bauteile reagieren empfindlich (z.B. mit Rissen) auf Verformungen des Tragwerks.

weiches Geschoss («soft storey»): Geschoss mit wesentlich geringerer Steifigkeit gegenüber Horizontalverschiebungen, als darunter und darüber liegende Geschosse. Dies ist oft der Fall, wenn Versteifungselemente zugunsten grosser Räume und Gebäudeöffnungen weggelassen und die Schwerelasten nur durch Stützen getragen werden. Das Versagen von Stützen in „weichen Geschossen“ wird auch „Stützenmechanismus“ oder „Stockwerksmechanismus“ genannt.

Schwere Erdbeben können wie kein anderes Naturereignis innert Minuten eine grossräumige Notlage herbeiführen, deren Bewältigung während Wochen bis Monaten ausserordentliche Massnahmen und Mittel erfordert. Im Europäischen Vergleich besteht in der Schweiz eine mittlere Erdbebengefährdung mit regionalen Unterschieden. Nebst der grossräumigen seismischen Gefährdung (Erdbebenzonen) beeinflusst die Beschaffenheit des lokalen Untergrunds erheblich, wie sich der Boden bei einem Beben bewegt.

Die Auswirkungen von Erdbeben auf Gebäude hängen nebst der Bauweise massgeblich vom lokalen Untergrund ab: Weiche Böden verstärken die Erschütterungen, beispielsweise mächtige Sedimentschichten ehemaliger Fluss- und Seeablagerungen. Gewisse sandige und siltige Böden können sich unter Vibrationen sogar verflüssigen („Bodenverflüssigung“). Je fester der Untergrund (z.B. Fels), desto weniger verstärken sich die seismischen Wellen auf ihrem Weg bis zur Erdoberfläche und entsprechend geringer sind ihre Auswirkungen auf Gebäude. Neben der Verstärkung aufgrund der weicheren Böden spielen Resonanzphänomene eine massgebende Rolle: Erdbebenwellen werden in gewissen Schichten (1D) oder komplexeren geologischen Strukturen (2D-3D z. B. ein alpines Tal) gefangen und können sich entsprechend verstärken. Die Verstärkung betrifft dann einen bestimmten Frequenzbereich und verstärkt die Einwirkungen auf Bauwerke, die in demselben Frequenzbereich schwingen. Die von Erdbeben ausgehende Gefahr beschränkt sich folglich nicht auf die Hot-Spots der seismischen Gefährdung wie dem Wallis und der Region Basel – je nach Untergrund sind viele weitere Standorte im Mittelland oder in den Alpentälern ebenso oder sogar noch stärker gefährdet.

Karte Erdbebenzonen gem. SIA 261 Anhang F

Die Auswirkungen von Erdbeben auf Gebäude hängen nebst der Bauweise massgeblich vom lokalen Untergrund ab: Weiche Böden verstärken die Erschütterungen, beispielsweise mächtige Sedimentschichten ehemaliger Fluss- und Seeablagerungen. Gewisse sandige und siltige Böden können sich unter Vibrationen sogar verflüssigen („Bodenverflüssigung“). Je solider der Untergrund (Fels), desto weniger verstärken sich die seismischen Wellen auf ihrem Weg bis zur Erdoberfläche und entsprechend geringer sind ihre Auswirkungen auf Gebäude. Die von Erdbeben ausgehende Gefahr beschränkt sich folglich nicht auf die Hot-Spots der seismischen Gefährdung wie dem Wallis und der Region Basel – je nach Untergrund sind viele weitere Standorte im Mittelland oder in den Alpentälern ebenso oder sogar noch stärker gefährdet.

Karte Baugrundklassen

Übersicht Mikrozonierungen

Das Erdbebenrisiko wird weiter von den betroffenen Werten und der Verletzbarkeit von Gebäuden und Infrastruktur beeinflusst. Diese Verletzbarkeit hängt davon ab, inwieweit die Grundsätze des erdbebengerechten Bauens befolgt sind.

Erdbebenrisiko Schweiz (Quelle und weiterführende Informationen: SED)
Erdbebenrisiko Schweiz (Quelle und weiterführende Informationen: SED)

Die Norm SIA 261 gibt die Anforderungen für die erdbebengerechte Erstellung von Neubauten vor. Von Beginn weg im Entwurf berücksichtigt und konsequent umgesetzt, gewährleisten sie einen wirksamen und sinnvollen Schutz. Bis zum Bemessungsbeben (Erdbebeneinwirkungen für eine Wiederkehrperiode von 475 Jahren) dürfen nur mittlere, reparierbare Gebäudeschäden entstehen, Personen in Gebäuden müssen geschützt sein. Aufgrund höherer Personenbelegung resp. zwecks Erhaltung wichtiger Infrastrukturfunktionen gelten für die Bauwerksklassen BWK II und BWK III (siehe Schutzziele) erhöhte Anforderungen.

Bei Umbauten und Sanierungen ist frühzeitig abzuklären, ob eine Überprüfung der Erdbebensicherheit notwendig, beziehungsweise sinnvoll ist. Die Überprüfung und Beurteilung der Erdbebensicherheit bestehender Gebäude erfolgt nach der Norm SIA 269/8, wobei zusätzlich die beiden Bauwerksklassen BWK II-s für Schulen und Kindergärten sowie BWK II-i für Bauwerke mit bedeutender Infrastrukturfunktion unterschieden werden. Massgebend für den Handlungsbedarf sind gemäss SIA 269/8 der Erfüllungsfaktor der Erdbebensicherheit, der mit der jeweiligen Bauwerksklasse verknüpfte Mindesterfüllungsfaktor sowie die Verhältnismässigkeit allfälliger Schutzmassnahmen (sofern Mindesterfüllungsfaktor erreicht). Die Verhältnismässigkeit wird beeinflusst durch die erreichbare Risikoreduktion, die Kosten der Erdbebensicherheitsmassnahmen sowie durch die Restnutzungsdauer. Die Überprüfung und Beurteilung hat durch einen auf Erdbebensicherheit spezialisierten Bauingenieur zu erfolgen.

Gewisse Baugesetzgebungen verlangen explizit die Einhaltung der Erdbeben-relevanten SIA-Normen, andere nur implizit. Im Baubewilligungsverfahren gelten in den Kantonen Aargau, Basel-Stadt, Bern, Freiburg, Jura, Luzern, Nidwalden, Vaud und Wallis spezifische Auflagen.

Die wichtigsten Gefährdungsbilder bei Erdbeben sind die Beschädigung, das Einstürzen von Gebäudeteilen oder ganzer Gebäude sowie das Um- und Abstürzen sekundärer Bauteile, Installationen und Einrichtungen (SBIE).

Gefährdungsbild 1: Lokales Versagen des Tragwerks ohne Einsturz

Die Beanspruchungen bewirken Risse, ein Abbröckeln von Wänden und Decken sowie bleibende Verformungen der Tragstruktur oder Beschädigungen an einzelnen tragenden Bauteilen. Interaktionen mit sehr steifen Bauteilen wie Mauerwerkswänden sowie „kurze Stützen“ (siehe Schadenarten/-ursachen) begünstigen solche Schäden am Tragwerk.

Gefährdungsbild 2: Versagen des Tragwerks mit Einsturz eines Gebäudeteils

Ungünstige Ausprägung von Gefährdungsbild 1, wobei einzelne Gebäudebereiche, ganze Geschosse oder das gesamte Gebäude einstürzen.

Gefährdungsbild 3: Kollaps weicher Geschosse

Bei einem Erdbeben eingestürztes, weiches Erdgeschoss

Das vollständige Zusammenfallen einzelner Geschosse ist eine spezielle und leider häufig beobachtete Form von Gefährdungsbild 2. Besonders gefährdet sind sogenannt „weiche Geschosse“, die aufgrund gross angelegter Räume oder grosszügiger Öffnungen eine (zu) geringe Stabilität aufweisen. Häufig sind Erdgeschosse mit gewerblicher Nutzung betroffen, v.a. wenn im Rahmen einer Umnutzung tragende Wände entfernt wurden (z.B. Kaufhäuser mit grossen Räumen und wandhohen Schaufenstern).

Gefährdungsbild 4: Sekundäre Bauteile, Installationen und Einrichtungen (SBIE)

Sekundäre Bauteile, Installationen und Einrichtungen (SBIE) wie heruntergehängte Decken, Leichtbauwände und Rohrleitungen wurden bei einem Erdbeben beschädigt.

Beispiele für SBIE: Trennwände, Decken- und Fassadenbekleidungen, Brüstungen, Kamine, Verglasungen, Aufzüge, Kanäle und Leitungen, technische Geräte der Haustechnik sowie Möbel und Einrichtungsgegenstände. Viele dieser nicht tragenden Elemente sind von erheblicher Masse, weshalb im Erdbebenfall entsprechend hohe Trägheitskräfte wirken. Nicht oder ungenügend befestigte Objekte geraten ins Schaukeln und können kippen, rutschen oder an andere Objekte anschlagen. Durch die Bewegungen und allfällige Verformungen des Tragwerks können SBIE zusammenbrechen, umkippen, sich ablösen oder herunterfallen und dadurch Personen verletzen und hohe Sachschäden verursachen. Ein Grossteil der durch Erdbeben hervorgerufenen Sachschäden sowie der Folgeschäden sind auf SBIE zurück zu führen.

Gefährdungsbild 5: Bodenverflüssigung

Bodenverflüssigung bei Erdbeben: Bestimmte sandige und siltige Böden mit hohem Wassergehalt können unter Vibrationen sich plötzlich wie eine Flüssigkeit verhalten.

Wenig kompaktierte, sandige oder siltige Böden können sich im wassergesättigten Zustand und unter Anregung durch Vibrationen wie eine Flüssigkeit verhalten und dadurch unmittelbar ihre Tragfähigkeit verlieren. In der Folge können Fundamente mitsamt dem Gebäude im Boden einsinken oder Kippen. Das Problem der Bodenverflüssigung betrifft auch Böden, die für ruhende Lasten eine sehr gute Tragfähigkeit aufweisen. Speziell an Standorten der Baugrundklasse F lohnt es sich, die lokale Gefahr von Bodenverflüssigung zu untersuchen.

Gefährdungsbild 6: sekundäre Ereignisse

Erschütterung durch Erdbeben können weitere Naturgefahren wie Rutschungen und Hangmuren, Bergstürze, Murgänge und Lawinen sowie Flutwellen auslösen. In betroffenen Gebieten können die Einwirkungen dieser sekundären Naturgefahren jene des Erdbebens übersteigen.

Zudem können bei Erdbeben auch Brände und Wasserschäden entstehen, verursacht durch Kurzschlüsse, offene Feuerstellen oder undichte Leitungen.

Mauerwerkswände

Mauerwerk ist spröde und daher verformungsempfindlich. Bereits geringe Verschiebungen können Risse und grossflächige Ablösungen bewirken. Ein typisches Schadenbild sind Kreuzrisse diagonal zwischen Fenstern oder Ausfachungen und in Gebäudeecken. Auf Beanspruchung senkrecht zur Wandebene („out-of-plane“) reagiert Mauerwerk ebenfalls sehr empfindlich. Einzelne Wandabschnitte können herausfallen oder ganze Wände umfallen. Versagen tragende Mauerwerkswände, können sie Schwerelasten nicht mehr abtragen, was zum Totaleinsturz eines Gebäudes führen kann.

Rahmen (z.B. aus Stahlbetondecken und -stützen) mit eingefügtem Mauerwerk sind eine ungünstige Kombination. Bei starken Stützen wird das Mauerwerk zerstört und die „Ausfachung“ fällt heraus. Dünnere Stützen werden durch das Mauerwerk abgeschert, was zum Einsturz führen kann.

Speziell bei historischen Gebäuden sind die Verbindungen zwischen Mauerwerktragwänden und Holzbalkendecken oft ungenügend, wodurch ganze Wände umkippen resp. Decken einstürzen können.

Schäden an Stahlbetontragwänden

Geraten Gebäude in Schwingung, verformen sich Stahlbetontragwände zunächst unter Bildung von Rissen elastisch und bei weiterer Verformung plastisch (bleibende Verformungen) mit entsprechenden Schäden. Solange sich Stahlbetontragelemente plastisch verformen können, bleibt die Einsturzgefahr gering. An nicht explizit auf diese Belastungen bemessenen Bereichen sind aber spröde Versagensmechanismen (z.B. Schubbruch) zu erwarten, mit entsprechend schweren Schäden und Einstürzen. Eine häufige Ursache für solche massiven Schäden sind eine mangelhafte konstruktive Durchbildung (Ausgestaltung der Bewehrungsführung) sowie zum Teil (ungeplante) Aussparungen und Öffnungen in Tragwänden.

Versagen von Stützen / weiche Geschosse

Stützen können Schwerelasten vertikal gut abtragen. Bei horizontalen Verschiebungen in Gebäuden, die nicht genügend ausgesteift sind, konzentrieren sich die grössten Verformungen jedoch auf die Enden der Stützen oben und unten. An diesen Schwachpunkten können sich Stützen stark verformen und oder sogar brechen (sprödes Versagen), wenn sie sich nicht genügend plastisch verformen können. Die typischen Schadenbilder reichen von schief gestellten Stützen bis hin zum vollständigen Kollaps ganzer Stockwerke (Gefährdungsbild 3).

Eine häufige Einsturzursache von Gebäuden sind sog. „kurze Stützen“ mit geringer Länge im Verhältnis zum Durchmesser. Dadurch verhalten sich solche Stützen im Vergleich zu längeren Stützen mit gleichen Querschnitten in der Regel sehr steif und ziehen Kräfte an. Durch die dadurch in die Stützen eingeleiteten grossen Querkräfte können solche Stützen spröde versagen (Schubbruch). Oft entstehen „kurze Stützen“ durch Brüstungen, die den unteren Teil der Stützen seitlich versteifen.

Fassadensysteme und Verkleidungen

Ähnlich wie Mauerwerkswände reagieren Fassadenbauteile empfindlich auf Verformungen (v.a. steife und fugenlos eingebaute Elemente verhalten sich spröde) und Beschleunigungen (v.a. schwere Elemente). Zudem sind sie oft unzureichend gegen horizontale Beanspruchungen geschützt.

Fenster und Glasfassaden

Verglasungen und andere starre Bauteile der Gebäudehülle reagieren sehr empfindlich auf Verformungen des Tragwerks, v.a. wenn sie fugenlos verbaut sind.

Interaktion mehrerer Gebäude oder Gebäudeteile (Fugen nicht fachgerecht)

Durch das Zusammenprallen benachbarter Gebäude oder Gebäudeteile können erhebliche Schäden entstehen. Insbesondere wenn die Geschossdecken auf unterschiedlicher Höhe liegen und gegen Stützen des benachbarten Gebäudes prallen, besteht die Gefahr, dass diese Stützen brechen (mit entsprechenden Konsequenzen bis hin zum Einsturz der betroffenen Gebäude).

Analog entstehen Schäden beim Aneinanderprallen von SBIE mit anderen Gebäudeelementen.

Einsinken oder Verkippen des Fundaments

Bei Bodenverflüssigung oder sehr ungleicher Tragfähigkeit des Baugrunds können ganze Gebäude einsinken und umkippen. Besonders gefährdet sind in diesem Zusammenhang Gebäude, die auf Einzel- oder Streifenfundamenten gegründet sind.

Die Norm SIA 261 gibt die Anforderungen an erdbebengerecht erstellte Neubauten vor und gewährleistet bei konsequenter Umsetzung einen wirksamen Schutz vor Erdbeben. Entscheidend ist der frühe Einbezug des Themas bereits in der Entwurfsphase. Die frühe Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur ist zentral. So finden Sie effizient zu eleganten Lösungsvarianten und reduzieren Aufwand und Kosten im späteren Verlauf der Projektierung und Realisierung. Hier steht der Architekt in der Verantwortung, sich entsprechend durch einen Bauingenieur beratend unterstützen zu lassen. Bei bestehenden Gebäuden können die Überprüfung der Erdbebensicherheit gemäss SIA 269/8 und die Verbesserung der Erdbebensicherheit notwendig werden.

Vorschläge für Schutzmassnahmen zu einzelnen Bauteilen und zum konzeptionellen Vorgehen:

Naturgefahren-Check

Bachmann, H. (2015): Wenn Bauwerke schwingen. Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen in der Schweiz – Geschichte und Geschichten. Vdf, Zürich.

Bachmann, H. (2002): Erdbebengerechter Entwurf von Hochbauten – Grundsätze für Ingenieure, Architekten, Bauherren und Behörden. Richtlinien des BWG, Biel.

BAFU (2020): Erdbebenrisiko grosser Gebäudebestände: Stufenweises Verfahren zur Identifizierung von kritischen Gebäuden. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Wissen Nr. 2014: 57 S.

BAFU (2019): Erdbeben im Notfall- und Kontinuitätsmanagement. Hilfestellung für Infrastrukturbetreiber zur Überprüfung ihrer Vorsorge- und Notfallplanungen. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Wissen Nr. 1903: 30 S.

BAFU (2021): Erdbebengerechte Neubauten in der Schweiz. Worauf es ankommt – und warum. Bundesamt für Umwelt (BAFU) und Stiftung für Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen.

BAFU (2021): Ist unser Gebäude genügend erdbebensicher? Wann eine Überprüfung und eine Verbesserung sinnvoll sind – und warum. Bundesamt für Umwelt (BAFU) und Stiftung für Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen.

Baudyn (2010): Erdbebensicherheit von Gebäuden – Rechts- und Haftungsfragen. Worauf es ankommt – und warum. Stiftung für Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen, www.baudyn.ch, Schweizer Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik SGEB, www.sgeb.ch, Institut für Schweizerisches und Internationales Baurecht, Universität Freiburg.

Braune F., Berweger A., Vogt R., Szczesiak T. (2016): Erdbebensicherheit sekundärer Bauteile und weiterer Installationen und Einrichtungen. Empfehlungen und Hinweise für die Praxis. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Wissen Nr. 1643: 98 S.

Brunner, R., Jung, P., Steiger, R., Wenk, T., Wirz, N. (2010): Erdbebengerechte mehrgeschossige Holzbauten. Technische Dokumentation der Lignum.

Gunzenhauser, M., Herbst, C., Tosolini, E. (2018), Leitfaden Gebäudebeurteilung nach Erdbeben. Organisatorische Aspekte der Vorbereitung und Durchführung. Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS (Hrsg.), Bern.

Jamali N., Kölz E. (2018): Überprüfung des Tragwiderstand von Mauerwerkswänden quer zur Wandebene unter Erdbebeneinwirkung gemäss SIA 269/8, Technische Anwendungshilfe, Bundesamt für Umwelt.

Lestuzzi P., Badoux M. (2013): Evaluation parasismique des constructions existantes: Bâtiments en maçonnerie et en béton armé, PPUR Presses polytechniques et universitaires romandes, 240 pp.

Lestuzzi P., Badoux M. (2008): Génie parasismique: conception et dimensionnement des bâtiments, PPUR presses polytechniques et universitaires romandes, 327 pp.

Mayoraz J., Lacave C., Duvernay B. (2016): Erdbeben: Karten der Baugrundklassen. Erstellung und Verwendung. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Wissen Nr. 1603: 48 S.

Promur (2015): Erdbebensicher Bauen mit Mauerwerk. Promur – Schweizer Industriepartner für das Mauerwerk, Bern.

Studer J., Koller M., LaueJ. (2008): Bodendynamik, Grundlagen, Kennziffern, Probleme und Lösungsansätze, Springer, 340pp.

Wenk T. (2008): Erdbebenertüchtigung von Bauwerken. Strategie- und Beispielsammlung aus der Schweiz. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Wissen Nr. 0832: 84 S.

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