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Stein-, Block und Eisschlag

Ein Stein stürzt vom Hang in eine Hausmauer

Der Überbegriff Sturzprozesse umschreibt das Abstürzen von Steinen, Felsblöcken oder Eismassen im freien Fall sowie springend, gleitend oder rollend an steilen Hängen. Mit Stein- und Blockschlag sind Sturzkörper von einigen Zentimetern bis wenigen Metern Durchmesser gemeint, die mehr oder weniger isoliert talwärts stürzen und gegebenenfalls Personen oder Infrastruktur gefährden können. Das Auftreten von Stein- und Blockschlag lässt sich räumlich eingrenzen, sofern Angaben zur Sturzmasse sowie zu möglichen Sturzbahnen vorliegen. Diese Angaben können den Intensitätskarten und dem technischen Bericht zur Gefahrenkarte entnommen werden.

Stark gefährdete und nicht gefährdete Bereiche liegen oft sehr nahe nebeneinander. Das Meiden gefährdeter Grundstücke ist generell die bedeutendste Schutzstrategie. Wald ist vielerorts der wichtigste Schutz vor Stein- und Blockschlag, wie auch vor Lawinen. Bauliche Massnahmen wie Auffangdämme oder Schutznetze bieten zusätzlichen Schutz für grosse Flächen (Arealschutz) und Verkehrswege. Verstärkte Betontragwände, der Schutz von Öffnungen und Zugängen sowie Nutzungsanpassungen reduzieren das Schadenrisiko für Einzelgebäude.

Die nationalen Schutzziele für Neubauten beziehen sich auf die Norm SIA 261/1. Diese Norm legt das 300-jährliche Ereignis fest als Schutzziel für normale Wohn- und Gewerbegebäude (BWK I) gegen gravitative Naturgefahren (Hochwasser, Erdrutsch, Murgang, Steinschlag, Lawine). Zudem sind die kantonalen und kommunalen Vorgaben zu respektieren, wobei diese die Anforderungen der Norm SIA 261/1 in der Regel nicht übersteigen. Konkret muss das Gebäude auch bei seltenen Ereignissen (300-jährlich) intakt bleiben und die sich darin befindenden Personen schützen.

Ab Bauwerksklasse II sind höhere Anforderungen zu erfüllen (Bedeutungsbeiwerte und Höhenzuschläge gemäss SIA 261/1).

Die Sturzkomponenten sind entweder Steine, Felsblöcke oder Eis.

Bei Stein- und Blockschlag stürzen einzelne Steine (mittl. Durchmesser < 0.5 m) oder Blöcke (mittl. Durchmesser > 0.5 m bis zu einer Grösse von bis zu 2 m) talwärts. Die Gesamtvolumina betragen maximal 100 m3. Ursache für diesen wiederholt oder mit saisonalen Spitzen ablaufenden Prozess ist der stetige, durch die örtliche Geologie und Verwitterung bestimmte Zerfall einer Aus-/Abbruchstelle (Sturzquelle), beispielsweise einer Felswand. Je nach Bewegungsform (Fallen, Gleiten, Springen und Rollen) und Fallhöhe entlang der Sturzbahn liegen die Geschwindigkeiten zwischen 5 bis über 30 m/s. Bei Hangneigungen von weniger als 30° werden Steine und Blöcke im Allgemeinen langsam abgebremst. Dicht bestockter Wald kann zusätzlich Energie abbauen. Die Einwirkung auf Objekte geschieht durch die Stosskraft (Aufprallenergie) der Einzelkomponenten. Massgebend sind hierbei sind die Translationsgeschwindigkeit und die Masse, respektive die kinetische Energie. Beim Springen und Rollen setzt sich die kinetische Energie zusätzlich zur Translationsenergie auch aus der Rotationsenergie zusammen.

Eisschlag (abstürzende Eismassen) tritt beispielsweise auf, wenn Wasser an Felswänden herunterrinnt, festfriert und plötzlich abbricht. Das Raumgewicht von Eis ist 2-3 Mal geringer (ca. 920 kg/m3) als jenes von Gestein. Zudem kann Eis beim Aufprall spröde zerspringen. Bei dieser Verformung des Sturzkörpers wird wesentlicher mehr kinetische Energie abgebaut als bei Sturzmassen aus Gesteinsmaterial.

Sturzvolumen von mehr als 100 m3 Gesteinsmaterial gehören in die Kategorie Felssturz, bei mehr als 1000 m3 spricht man von Bergsturz. Die dabei auftretende Aufprallenergie ist derart gross ((Ekin>>300 [kJ]), dass sämtliche Objektschutzmassnahmen versagen würden. Zum Schutz von Gebäuden vor Fels- und Bergsturz kommen deshalb nur raumplanerische Massnahmen in Frage.

Bergsturz am Piz Cengalo im August 2017
Bergsturz am Piz Cengalo im August 2017 (Bildquelle: VKG)

Zur Bemessung von Objektschutzmassnahmen bedarf es Angaben zur Bewegungsform, Sprunghöhe, Masse, und Translationsgeschwindigkeit der Sturzkomponenten. Als Alternative zu Masse und Translationsgeschwindigkeit kann die zu erwartende kinetische Energie (Translations- und Rotationsenergie) verwendet werden. Diese Angaben lassen sich in der Regel aus den Intensitätskarten und dem technischen Bericht zur Gefahrenkarte ableiten. Existieren keine Intensitätsangaben, so sind diese durch eine Fachperson zu bestimmen.

Translationsenergie Etrans [kJ] von kugelförmigen Sturzkomponenten in Abhängigkeit ihrer Masse und Translationsgeschwindigkeit (unter Vernachlässigung der Rotationsenergie)

Die Einwirkungen infolge von Sturzprozessen hängen ab von der Masse, der Geschwindigkeit und den Eigenschaften der Sturzkomponenten und des Tragwerks, insbesondere dem Verformungs- und dem Dämpfungsverhalten.

Zerstörungspotential und mögliche Schutzmassnahmen bei verschiedenen Translationsenergien

Translationsenergie Etrans

Zerstörungspotential

Energieaufnahmevermögen von Fangkonstruktionen

0 bis 10 [kJ]
(schwache Intensität)

Zerstörung von Holzschichtwänden

Stahlstützen mit Fichtenrundholz

10 bis 30 [kJ]
(schwache Intensität)

Zerstörung von Fichtenrundholzwänden

Stahlstützen mit Eichenholz, Drahtgeflechte mit einfacher Torsion

30 bis 100 [kJ]
(mittlere Intensität)

Zerstörung von Stahlbetonwänden der Dicke von 0.2 bis 0.3 m

Einfache Konstruktionen mit Drahtgeflechten und Drahtseilnetzen ohne Bremselemente

100 bis 300 [kJ]
(mittlere Intensität)

Zerstörung von Stahlbetonwänden der Dicke von 0.4 bis 0.5 m

Konstruktionen meist mit Drahtseilgeflechten und Drahtseilnetzen mit und Bremselementen

300 bis 5000 [kJ]
(starke Intensität)

 

Netz-Konstruktionen mit Drahtseil- oder Ringnetzen und Bremselemente

> 5000 [kJ]
(starke Intensität)

  Spezielle Ringnetzkonstruktionen, Erddämme

Symbol / Einheit

Bezeichnung

A [m2]

Fläche

Ad [kN]

Bemessungswert der Anprallkraft

Ak [kN]

Statische Ersatzkraft bei Anprall

amax [m/s2]

maximale Verzögerung
d [m] Durchmesser der Ersatzkugel der massgebenden Sturzkomponente
E [kJ] Energie

Ekin [kJ]

Kinetische Energie der Sturzkomponente

Erot [kJ]

Rotationsenergie

Etrans [kJ]

Translationsenergie

Fmax [kN]

Maximale dynamische Einwirkung

g [m/s2]

Erdbeschleunigung (10 m/s2)

h [m] Dicke der Stahlbetonwand

hfs [m]

Freie Fallhöhe der Sturzkomponente

hg [m]

Gebäudehöhe

ηpl ­

Plastifizierungsgrad

hps [m]

Sprunghöhe der Sturzkomponente
l [m] Spannweite der Stahlbetonwand
m [kg] Masse

re [m]

Radius der Ersatzkugel mit gleichem Volumen und gleicher Masse

rs [kg/m3]

Dichte der Sturzkomponente (≈ 2700 kg/m3)

ss [m]

Schiefe Sprungweite der Sturzkomponente

vn [m/s]

Nominelle Geschwindigkeit der Sturzkomponente (Translationsgeschwindigkeit)

vs [m/s]

Geschwindigkeit der Sturzkomponente (Translationsgeschwindigkeit)
w [mm] Verformung
α [°] Anprallrichtung

γf ­

Bedeutungsbeiwert

Φ’k [°]

Charakteristischer Wert des effektiven Reibungswinkels
ω [rad/s] Eigenrotation der Sturzkomponente (Rotationsgeschwindigkeit)

Gefährdungsbild 1: Steine/Blöcke rollen oder gleiten gegen das Gebäude

Die Sturzkomponenten bewegen sich rollend oder gleitend auf das Gebäude zu. Als Einwirkung ist die maximale Anprallkraft Fmax infolge von Stein- und Blockschlag auf das Gebäude zu berücksichtigen. Die Bemessungslast wirkt in einer Höhe h = 1.5 × re. Bei einem Anprallwinkel kleiner als 70° kann die Bemessungslast in die einzelnen Komponenten aufgeteilt werden.

Gefährdungsbild 2: Steine/Blöcke springen bis Wandhöhe

Die Sturzkomponenten bewegen sich springend auf das Gebäude zu. Ihre Bewegungsenergie setzt sich aus Translations- und Rotationsenergie zusammen. Die Sprunghöhe hps ist kleiner als die Gebäudehöhe hg. Dadurch sind ausschliesslich Wände betroffen. Als Einwirkung ist die maximale Anprallkraft Fmax infolge von Stein- und Blockschlag auf das Gebäude zu berücksichtigen. Die Bemessungslast kann bis in eine Höhe hps wirken. Bei einem Anprallwinkel kleiner als 70° kann die Bemessungslast in die einzelnen Komponenten aufgeteilt werden.

Gefährdungsbild 3: Steine/Blöcke fallen oder springen über die Gebäudehöhe

Die Sturzkomponenten bewegen sich fallend auf das Gebäude zu (Sprunghöhe hps ist grösser als die Gebäudehöhe hg). Die Bemessungslast wirkt auf die Dachkonstruktion. Die Erdbeschleunigung während des Anpralls kann vernachlässigt werden.

Zur Bestimmung der Anprallkräfte infolge Stein-, Block- und Eisschlag bedarf es folgender Angaben. Sind diese nicht vorhanden, müssen sie durch eine Fachperson ermittelt werden.

Angaben der Sturzkomponenten:

  • Masse m und Dichte ρs der Sturzkomponente
  • Translationsgeschwindigkeit vs
  • Rotationsgeschwindigkeit ω
  • Sprunghöhe hps
  • Anprallwinkel a

Angaben zum Verformungsverhalten des Tragwerks:

  • Materialeigenschaften (unter dynamischen Einwirkungen)
  • Verformung w
  • Plastifizierungsgrad hpl
  • Tragsystem

Die Sturzkomponente wird als Ersatzkugel der Masse m [kg], der Dichte rs [kg/m3] und des Radius re [m] modelliert:

Der Bemessungswert der Anprallkraft Ad wird in den nachfolgenden Teilschritten ermittelt:

  • Ermittlung der auf das Tragwerk wirkenden Energie E,
  • Ermittlung der dynamischen Einwirkung Fmax infolge Anprall,
  • Ermittlung der statischen Ersatzkraft Ak,
  • Ermittlung des Bemessungswertes der Anprallkraft Ad.

Die Details zu den einzelnen Teilschritten sind der Norm SIA 261/1 zu entnehmen.

Der Bedeutungsbeiwert γf wird auf die statische Ersatzkraft Ak angewendet, um den Bemessungswert der Anprallkraft Ad zu ermitteln:

Der Anprall von Einzelkomponenten auf eine Betonplatte mit einer Spannweite l=2.5 m und einer Dicke von h=30 cm erzeugt die folgenden statischen Ersatzkräfte Ak [kN]:

Masse m [kg] Geschwindigkeit v [m/s]

Energie Etrans [kJ]

statische Ersatzkraft Ak [kN]
(Durchstanzen | Biegung)

100

10

5

190 | 50

100

20

20

750 | 210

500

10

25

950 | 260

500

20

100

3800 | 1050

1000

10

50

1900 | 530

1000

20

200

7500 | 2100

Wanddurchbruch infolge Anpralls

Göschenen 2001: Blockanprall auf armierte Betonwand mit Durchstanzen

Schaden infolge Steinschlags - Durchschlag Wand
Göschenen, 2001: Blockanprall auf armierte Betonwand mit Durchstanzen (Foto: Urs Thali, Göschenen)

Durchschlag Dach

Ein Felsblock ist auf Gebäude gesprungen; er hat Dach und Wände beschädigt und teilweise durchschlagen.

Schaden infolge Steinschlags - Durchschlag Dach

Durch konzeptionelle und verstärkende Massnahmen können Sie bei Gefährdung durch Stein- und Blockschlag das Personen- und Sachwertrisiko erheblich senken, beispielsweise indem das Gebäude optimal geschützt in das Gelände eingepasst wird oder durch geeignete Verschalungen und Verstärkungen der betroffenen Gebäudeteile. Vermeiden Sie Öffnungen in der bergseitigen Aussenwand oder schützen Sie sie entsprechend. Planen Sie zudem angrenzend an betroffene Aussenwände ausschliesslich Räume mit kurzer Aufenthaltsdauer und treffen Sie auch im Aussenraum Massnahmen zur Risikoreduktion.

Schutzmassnahmen zu einzelnen Bauteilen und zum konzeptionellen Vorgehen:

Naturgefahren-Check

ASTRA (2012): Naturgefahren auf den Nationalstrassen: Risikokonzept. Methodik für eine risikobasierte Beurteilung, Prävention und Bewältigung von gravitativen Naturgefahren auf Nationalstrassen, Bundesamt für Strassen, Bern.

BAFU [Hrsg.] (2016): Schutz vor Massenbewegungsgefahren. Vollzugshilfe für das Gefahrenmanagement von Rutschungen, Steinschlag und Hangmuren. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Vollzug Nr. 1608: 98 S.

Egli, Th. (2005): Wegleitung Objektschutz gegen gravitative Naturgefahren. Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen, Bern.

PLANAT (2009): Risikokonzept für Naturgefahren. Nationale Plattform Naturgefahren, Bern.

Präventionsstiftung der Kantonalen Gebäudeversicherer (2014): Prevent-Building – eine Methodik und ein Werkzeug zur Beurteilung der Wirksamkeit und Zumutbarkeit von Objektschutzmassnahmen an Gebäuden gegen gravitative und meteorologische Naturgefahren. Bericht Phase 1 mit Anpassungen aus Phase 2. Arbeitsgemeinschaft Prevent-Building: WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Egli Engineering AG, Geotest AG, B,S,S,. Volkswirtschaftliche Beratung, Version 12.05.2014. (Download)

Suda J. und Rudolf-Miklau F. (Hrsg.) (2012): Bauen und Naturgefahren, Handbuch für konstruktiven Gebäudeschutz. Springer, Wien.

Staub, B. (2017): Gebäudeschutz gegen Naturgefahren. FAN Agenda 2/2017. Fachleute Naturgefahren Schweiz. (Download)

ASTRA (2008): Einwirkungen infolge Steinschlags auf Schutzgalerien. Bundesamt für Strassen ASTRA in Zusammenarbeit mit SBB AG Infrastruktur, Bern.

ASTRA (2014): Management von Naturgefahren auf den Nationalstrassen. Richtlinie, Ausgabe 2014 V1.00. Bundesamt für Strassen ASTRA, Bern.

Baumann, R. (2018): Grundlagen zur Qualitätsbeurteilung von Steinschlagschutznetzen und deren Fundation. Anleitung für die Praxis. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Wissen Nr. 1805: 42 S.

CEB (1988): Concrete Structures under Impact and Impulsive Loading. Synthesis Report, Comité Euro-International du Béton, Lausanne.

ETAG 027 (2012): Guideline for European Technical Approval of Falling Rock Protection Kits. European Organisation for Technical Approvals. Edition September 2012, Amended April 2013, Brussels.

Gerber, W. (2019): Naturgefahr Steinschlag – Erfahrungen und Erkenntnisse. WSL Berichte, 74. 149 p.  

Gerber, W., Volkwein, A. (2010): Impact loads of falling rocks on granular material. In: Darve, F.; Doghri, I.; El Fatmi, R.; Hassis, H.; Zenzri, H. (eds) Euromediterranean Symposium on Advances in Geomaterials and Structures. Third Edition, Djerba, 2010. 337-342.

Gerber, W. et al. (1995): Schutzmassnahmen gegen Steinschlag. FAN-Kurs 1995, Eidg. Forschungs-anstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Birmensdorf

Heierli et al. (1985): Schutz gegen Steinschlag. Forschungsarbeit 21/83 auf Antrag der Vereinigung Schweizerischer Strassenfachleute, 2. Auflage, Bundesamt für Strassenbau, Bern.

Schellenberg, K. (2009): On the design of rockfall protection galleries. Dissertation Nr. 17924, ETH Zürich.

Tissières, P. (1996): Résistance d'un mur d'habitation à l'impact d'un bloc. Bericht zuhanden: Service des routes et cours d'eau Géologue cantonal, unveröffentlicht, Martigny.

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